Teams im OP oder im Cockpit, auf Schiffsbrücken, in Leitstellen für Reaktoren und Feuerwehr; sie alle agieren unter Stress, müssen ggf. in zeitkritischen Situationen und unter hohem Erfolgsdruck Entscheidungen treffen und unmittelbar handeln. Und sie unterliegen besonders der Gefahr von empfindlichen Fehlern – mit dem Potenzial unangenehmer Folgen. Was diese Teams vom modernen Profifussball lernen können.

Der Wunsch danach, ein System zu beherrschen

Menschen wünschen sich Kontrolle über ihr Leben und ihr Umfeld. Privat wie im Beruf ist Sicherheit nicht nur ein hohes Gut, es gilt als ein psychologisches Grundbedürfnis des Menschen. Die Krisen der letzten Jahre haben uns das mehr als deutlich gezeigt. Wir möchten ’Herr der Lage’ sein und die Möglichkeit haben, selbst Einfluss zu nehmen. Und laut psychologischen Studien ist dieses Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle zwar individuell unterschiedlich stark ausgeprägt, grundsätzlich braucht jedoch jedes Individuum den Eindruck, auf sein Leben und seine Umwelt eingreifen zu können und Handlungsspielraum zu besitzen.

In gefahrenkritischen Arbeitsumfeldern wird dieses Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis besonders virulent. Pilot:innen oder nautische Offiziere, OP-Personal, Topmanager:innen oder Börsenbroker:innen, Personal von Kraftwerken, Feuerwehr oder Polizei; sie alle haben in ihren Jobs mit hohen Risiken umzugehen, tragen große Verantwortung für sich und andere, müssen unter Stress und Handlungsdruck manchmal schwerwiegende Entscheidungen in kürzester Zeit treffen. Fehler können hohe finanzielle Schäden verursachen, gar das eigene oder das Leben vieler kosten. Wo es um Menschenleben geht, wird deshalb von jedem ein hohes Maß an Kontrolle und Sicherheitsbewusstsein erwartet. Genauso wie die zunehmende Komplexität und Dynamik dies den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft abverlangt. 

In diesen Branchen ist deshalb ein klares Verständnis davon entscheidend, was Human Factors und Sicherheitskultur eigentlich genau bedeuten, wie sie Zusammenhängen und vor allem, was es konkret dazu braucht, eine krisensichere Performance in den Alltag zu bringen. Denn es genügt bei weitem nicht, Sicherheitsstandards und Regeln einzuführen, Kontrollsysteme zu verstärken und ansprechende Charts zu Verhaltensregeln zu kolportieren. Sicherheitskultur will gelebt werden. Sie hängt zu einem starken Teil von einem zutiefst menschlichen Faktor ab: der richtigen inneren Haltung zu Sicherheit. Und davon, dass diese Haltung die alltäglichen Abläufe durchdringt und in sämtliche Routinen integriert ist.

Am Vorbild des Systems Fussball lassen sich die Zusammenhänge zwischen Krisenmanagement, Fehlerkultur und der darin enthaltene Anteil des Human Factors besonders gut zeigen. Und zwar ganz speziell am modernen Profi-Fussball, handelt es sich doch auch hier um einen professionellen Kontext, der zwar auf den ersten Blick „nur ein Spiel“ darstellt, in dem es aber gleichermaßen um Geld geht, die Akteure unter starkem Druck stehen und individuelle Fehler den Verein als Unternehmen betrachtet sowie den Einzelnen viel kosten können.

Handeln unter Unsicherheit – Das Fussballspiel als Dauerkrise

Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass wir von einer Situation überwältigt werden. Wir sind nicht länger Herr der Lage, fühlen uns nicht genügend vorbereitet, kompetent oder stark genug, sie zu meistern. Wir erfahren uns als Opfer von Abläufen, erkennen keinen Handlungsspielraum und haben den Eindruck, die Kontrolle zu verlieren. Die Dynamik und Komplexität scheint uns zu überwältigen. Als unsere entscheidende Aufgabe erscheint es uns deshalb, schnell wieder Einfluss und Zugriff zu erlangen, die Abläufe wieder irgendwie mitbestimmen zu können. 

Mit demselben krisenhaften Eindruck kämpft der Fussballerspieler bzw. ein Team auf dem Spielfeld während der kompletten 90 Minuten Spielzeit. Letztlich liefert das eine recht treffende Definition des Spiels. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an, mit dem Ziel erfolgreich zu sein, also zu gewinnen, setzen Können, Kraft und Taktik ein, um der Dynamik und Komplexität des Spiels Herr zu werden, seinen Verlauf zu ihren Gunsten zu beeinflussen und so dem Gegner das Heft aus der Hand zu nehmen. Ein großer Teil dessen, was in den 90 Minuten geschieht, ist jedoch zuvor nicht bestimmbar, unterliegt dem Zufall, der spontanen Handlung des Momentes und ist Ergebnis aus Aktion und Reaktion. Und das ist es, was das Spiel für Akteuere wie Zuschauer so spannend macht. Die jeweiligen Teams sind deshalb gezwungen, auf Sicht zu agieren, die Lage ständig zu kontrollieren und auf ihre Veränderungen zu reagieren.

„Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen wie es ausgeht.“ (Sepp Herberger)

In jedem Moment des Spieles gilt es, die Situation neu zu bewerten und eine Entscheidung auf dieser sich bereits wieder ändernden Grundlage zu treffen. Ein solches Spiel bedeutet eine permanente Abwägung und Eindämmung von Risiken und ein Handeln unter Unsicherheit. Und das verlangt ein Höchstmaß an Konzentration, situativer Aufmerksamkeit und Flexibilität; zudem erzeugt es ein hohes Stresslevel und verlangt deshalb vom Einzelnen besondere mentale Stärke.

Eine ganz ähnliche Beschreibung kann man von einem größeren Polizei- oder Rettungskräfte-Einsatz geben, einem Anlegemanöver eines Schiffes oder dem Agieren eines Teams in einem Kraftwerk oder einem Operationssaal. Die jeweiligen Systeme unterliegen äußeren Einflüssen, wie z.B. das der Schiff- und Luftfahrt dem Wetter, den Strömungsverhältnissen und dem Verkehrsaufkommen oder das Operationsteam der momentanen Konstitution und den daraus resultierenden physischen Reaktionen eines Patienten. Und so sehr es sich die Akteure anders wünschten: Über diese Einflüsse haben sie lediglich teilweise oder gar keine Kontrolle. Gleichermaßen sind diese Faktoren – wie der Gegner auf dem Fussballfeld – nur zu einem bestimmten Grad vorhersehbar. Auch mit modernster Kontroll- und Überwachungstechnik bleibt das System zu komplex und in seinen dynamischen Reaktionen nicht zu hundert Prozent zu durchdringen. Das ist es, was das System anfällig macht für Risiken und individuelle wie systemische Fehler. 

Was sich im Profi-Fussball besonders deutlich zeigt und deshalb in diesem Kontext als fast schon trivial angesehen wird: Ein leistungsfähiges Team erschöpft sich bei weitem nicht darin, dass jeder Einzelne technisch hoch versiert ist und die Aufstellung und Strategie die jeweiligen Fähigkeiten ideal nutzbar macht. Hinzukommen muss noch die viel thematisierte Kohäsion der Mannschaft, oder die Mentalität. Über kein anderes Thema wird in Nachanalysen mehr philosophiert, am Stammtisch oder in der Fankurve und letztlich auch in der Mannschaftskabine debattiert. Und letztlich drehen sich auch die Interviews mit Trainer:innen oder Spieler:innen nach einer Begegnung fast ausschließlich um diesen Punkt.

Persönlicher Wille und individuelle Fähigkeiten allein reichen im Mannschaftssport nicht aus, um zu siegen. Es verlangt zudem nach mentaler Stärke jedes Einzelnen sowie dem Zusammenhalt als Team. Denn nur dann stellt sich genügend Maß an Resilienz und Fehlertoleranz ein. Doch dieser Zusammenhalt ist nichts, was sich mit genügend Motivation, “Willen” oder gar Druck so einfach auf dem Platz herstellen lässt. Er hängt im Gegenteil von der Gesamtkultur des Teams und des Vereins ab. Es ist zum Beispiel schon von großer Bedeutung, wie das Team hinsichtlich individueller Fehler geimpft ist. Wie überhaupt die Mannschaft, der Verein oder die Organisation mit individuellen Fehlern umgeht. Es hängt also an der Fehlerkultur als solcher, welcher interne Druck auf dem Einzelnen und dem Team lastet und wie sich dies auf die gegenseitige Unterstützung und Performance auswirkt.

Was Teams also aus sicherheitskritischen Branchen vom modernen Fussball lernen können:

  • Eine gute Verteidigung ist wichtig. Je engmaschiger das Netz von Schutzbarrieren gegen Gefahren gezogen wird, desto niedriger ist das Risiko von Störfällen.
  • Angriff ist die beste Verteidigung. Auf dem Spielfeld wie außerhalb bedeutet das, dass Prävention effektiver ist als Reaktion. Schaffe ich es immer, vor der Lage zu sein, dann kann ich niemals ins Hintertreffen geraten.
  • Ohne eine entsprechende Organisationskultur überfordere ich die Operative. Die generelle Kultur einer Organisation legt den Grundstein für die konkrete Ausprägung innerhalb einzelner Teams.
  • Es braucht willensstarke und mitreißende informelle Leader als Vorbilder für eine positive Fehlerkultur. Trotz aller guter und richtiger Ansätze zu flachen Hierarchien und agilen Teams sind Leitfiguren wichtig, damit ein Team eine starke Kohäsion ausbildet.
  • Psychologische bzw. mentale Aspekte sind keine marginalen, zu vernachlässigenden Bereiche. Im Gegenteil: Ganz besonders in Notfällen und Krisen, aber auch im Alltagsbetrieb stellen individuelle Resilienz, Zusammenspiel der Akteure und positive Fehlerkultur die entscheidenden Faktoren für eine gelingende Performance dar.
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