Der Begriff No-Blame-Culture oder “Kultur, in der auf Schuldzuweisungen verzichtet wird” ist eng verwandt mit dem Gedanken der JUST Culture. Nach einem Zwischenfall müssen alle Betroffenen bereit sein offen zu sprechen, damit eine transparente Fehleranalyse auch wirklich gelingen kann. In einer Umgebung, in der Angst vor Schuldzuweisungen dominiert, also eine Blame-Culture, ist dies aus Angst vor Strafe nicht möglich. Diese Überzeugung teilen sowohl No-Blame-Culture und JUST Culture als Grundidee.
Zunächst entstand der Ansatz, durch Vorgeben einer No-Blame-Culture die Sorge vor negativen Konsequenzen bei Offenlegen von Fehlern zu nehmen. Wenn in der Praxis Fehlverhalten dann entgegen der Ankündigung doch abgestraft wurde, führte dies zum Vertrauensverlust in den Prozess. Die versprochene Straffreiheit stellte sich nicht immer als umsetzbar heraus. Das führte letztendlich zu mehr statt weniger Misstrauen und einer Verschlechterung der Fehlerkultur durch Unglaubwürdigkeit und Enttäuschungen. Dementsprechend kann die JUST Culture als realistische, adaptierte Weiterentwicklung der No-Blame-Culture betrachtet werden.
Die JUST Culture enthält im Unterschied zur No-Blame-Culture explizit die (realistische) Erwartung, dass grobfahrlässiges Handeln oder Vorsatz durch die/den Verursacher:in verantwortet werden müssen. Dies sollte aber in beiden Kulturen nicht der einzige Aspekt der Fehleranalyse bleiben, sondern eine ganze Fehlerkette betrachtet werden (⇢ JUST Culture ⇢ Fehlerkette ⇢ Swiss-Cheese-Model ). Denn mit der Bestrafung der oder des Letzten in der Fehlerkette drückt sich ein System vor einer tieferen Analyse und echten Verbesserung der Sicherheit. Anstatt einzelne Schuldige zu suchen, prüft sowohl die No-Blame-Culture als auch die JUST Culture die Sicherheit der Abläufe.
Die Erweiterung der No-Blame-Culture auf JUST Culture betont dementsprechend nicht nur die Offenheit in retrospektiven Fehleranalysen. Es ist auch während eines Prozesses wichtig, dass jede/r einzelne Beteiligte alle Probleme oder Bedenken meldet, ohne eine Bestrafung oder Kritik dafür befürchten zu müssen. Dies stellt die Aufmerksamkeit und Selbstreflexion als Team bzw. System sicher. Es bleicht wachsamer für eventuelle Störfälle.
Zugrunde liegt die Annahme, dass es immer mehrere redundante, nach einander gelagerte Sicherungssysteme geben sollte, von denen nicht nur eines versagt haben kann. Es gilt also einen fehlerhaften Prozess auf allen Ebenen zu überprüfen. J.T. Reasons Swiss-Cheese-Model visualisiert diesen Grundgedanken. Jede Käsescheibe hat in der Praxis unbekannte Löcher. Nur dadurch, dass die Käsescheiben über- und hintereinander gelagert sind, wird das System sicher. Es gibt jedoch immer den unvorhersehbaren Fall, dass ein Fehler durch sämtliche Sicherungssystem gleitet. Durch dieses Wissen – Fehler sind nie 100% vermeidbar, unabhängig von einer Schuldfrage –existiert in beiden Kulturen eine akzeptierendere Haltung gegenüber Fehlern. Auch wenn es paradox klingen mag: Diese realistische Akzeptanz von Risiken vereinfacht letztendlich das Aufspüren und Beheben von Fehlerquellen.
Der Begriff No-Blame-Culture im Kontext von Human Factors und Sicherheitskultur ist abzugrenzen von der spezifischen Verwendung des Terminus “No Blame Approach” im schulischen Umfeld, der sich auf eine strukturierte Form der Begleitung von Mobbingopfern bezieht.
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